Dokumentation eines Massenmordes in der nördlichen Iglauer Sprachinsel am 19. Mai 1945

„Auch Jahrzehnte nach Kriegsende hat die objektive Aufarbeitung der historischen Tatsachen eine Bedeutung und einen Sinn.“
Unter dieser Überschrift erschien in der tschechischen Zeitung „Pravo“ vom 4. April 2001 ein Artikel, verfasst von Herrn Jiri Sitler, Leiter der Mitteleuropa-Abteilung des tschechischen Aussenministeriums, über die Verurteilung des SS-Offiziers Julius Viel (83 J.) zu 12 jähriger Haft wegen mehrerer Morde bei Theresienstadt im Frühjahr 1945.
Herr Sitler war allerdings auch der Verfasser eines ganzseitigen Beitrags in der „Frankfurter Rundschau“ von Pfingsten (25.Mai 1996), in welchem er das sogenannte „Amnestie-Gesetz Nr. 115“ vom 8. Mai 1946, (eines der „Benesch Dekrete“) rechtfertigt, auf Grund dessen die Morde an abertausenden Sudetendeutschen, auch jene, die in dieser Dokumentation genannt werden, bisher ausnahmslos ungesühnt blieben.
Bezogen auf die Überschrift seines Artikels ist Herrn Sitler voll zuzustimmen, weil Unrecht nie verjährt und Täter, so sie ihrer Untat überführt werden können, vor Gericht gehören und zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Eine „Amnestie“ kann aber nur dann einem Straftäter zugebilligt werden, der vorher einer strafbaren Handlung überführt und daraufhin verurteilt wurde. Deshalb kann dieses Gesetz auch nicht als „Amnestie-Gesetz“ bezeichnet werden, sondern es ist ein „Straffreiheits-Gesetz“ trotz nachweisbar begangener Verbrechen.
Der § 1, dieses bis heute noch in der tschechischen Rechtsprechung gültigen Gesetzes, lautet übersetzt wörtlich:
„Eine Handlung, die in der Zeit v. 30. September 1938 bis zum 28.Oktober 1945 vorgenommen wurde und deren Zweck es war, einen Beitrag zum Kampf um die Wiedergewinnung der Freiheit der Tschechen und Slowaken zu leisten oder die eine gerechte Vergeltung für Taten der Okkupanten oder ihrer Helfershelfer zum Ziel hatte, ist auch dann nicht widerrechtlich, wenn sie sonst nach den geltenden Vorschriften strafbar gewesen wäre.“
Das Gesetz wurde am 4. Juni 1946 veröffentlicht und in Kraft gesetzt und trägt die Unterschriften:
Dr. Drtina e.h., Dr. Beneš e.h., Gen. Svoboda, Fierlinger e.h.

Vorwort

Länger als 56 Jahre hat es gedauert, um Licht in eines der schrecklichsten Verbrechen im Zusammenhang mit der Vertreibung der Deutschen aus der nördlichen Iglauer Sprachinsel zu bringen. Erst nach der Wende 1989 wurde es möglich, und selbst dann noch unter Gefahr für Leib und Leben der Ermittelnden.
Was sich in Deutsch Schützendorf und Umgebung in den Maitagen 1945 zugetragen hat, wer die Schuldigen und die Ausführenden des dortigen Massakers gewesen sind, kann nun, leider erst sehr spät nach dem Geschehenen, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Aussagen von Zeitzeugen wurden aus Angst zurückgehalten. Das Ausmaß des an Grausamkeit kaum Fassbaren musste, trotz aller Mühe um letzte Aufklärung, immer noch etwas lückenhaft bleiben. Fast alle Beteiligten oder Mittäter und Mithelfer sind inzwischen verstorben, und die noch schuldig Lebenden, z. B. Kautzingers beide Söhne Robert und Rudolf, z. Zt. wohnhaft in Iglau (Jihlava) durch die immer noch rechtsgültigen „Benesch-Dekrete, insbesondere jenes Straffreiheitsdekret, das sog. „Amnestiegesetz Nr.115“ vom 8. Mai 1946 vor Bestrafung geschützt. Jene heute noch Wissenden, die Auskunft geben könnten, lässt ein schlechtes Gewissen lieber schweigen.
Dazu erläuternd: Bei den im 2-jährigen Turnus immer um Fronleichnam stattfindenden Gedenktagen der Gemeinschaft Iglauer Sprachinsel e.V. versammeln sich auch heute noch oft bis zu 1000 Iglauer Landsleute im niederösterreichischen Waldkirchen nahe der Grenze bei Zlabings (Slavonice) und Fratres, wohin vom etwa 65 km entfernten Iglau im Mai und Juni 1945 die 3 „Todesmärsche“ der zu Fuß getriebenen Iglauer stattfanden, zum Gedenken an die vielen Opfer, besonders Kinder, Alte und Gebrechliche, die zumeist im Straßengraben sterben mussten.
Waldkirchen, der erste Kirchenort mit Friedhof jenseits der Grenze und viele Gemeindefriedhöfe der näheren und weiteren Umgebung wurden zur Begräbnisstätte vieler dieser auch noch anschließend an Erschöpfung gestorbenen Opfer und der toten Kinder, deren Mütter sie in Tüchern eingehüllt, heimlich mit über die Grenze trugen, um sie nicht, wie von den tschechischen Treibern gefordert, im Straßengraben „ablegen“ zu müssen.
Dort in Waldkirchen am Friedhof errichteten bereits 1949 Iglauer Landsleute, die in Österreich Fuß gefasst hatten, eine einfache Gedenkstätte mit 25 Kindergräbern, deren Namen bekannt geworden waren. Inzwischen ist dieser Ort Waldkirchen zum Pilger- und Partnerort der vertriebenen Iglauer geworden, wo man sich alle 2 Jahre um Fronleichnam in ungebrochen erstaunlich großer Zahl zum Gedenken an die Vertreibungsopfer zusammenfindet. Der inzwischen renovierten und erweiterten Gedenkstätte in Waldkirchen wurde dort auch eine solche für die Kriegstoten der Iglauer Sprachinsel von 1939 bis 1945 hinzugefügt. Sie wird vom dortigen Pfarrer mit herzlicher Anteilnahme betreut. Zur Gewährleistung einer dauerhaften Pflege und Instandhaltung der Gedenkstätte besteht ein Stiftungsvertrag mit der Gemeinde.
Seit der Wende 1989 besuchen die Iglauer bei ihren Gedenktagen in großer Zahl auch ihr Heimatgebiet. Sie halten, im Einvernehmen mit in der Heimat verbliebenen Landsleuten und dem grenzübergreifenden Gustav-Mahler-Haus-Verein z. Zt. eine sich immer besser entwickelnde Verbindung zur dortigen Stadtverwaltung.
Am Freitag nach Fronleichnam, nach dem gemeinsamen Gedenken mit der Waldkirchener Bevölkerung, findet in Iglau ein feierlicher Gedenkgottesdienst in einer der dortigen Kirchen und ein anschließendes Gedenken bei den Massengräbern am Zentralfriedhof statt, dort wo die vielen Zivilopfer, nahezu 2000, die in den Mai- und Junitagen 1945 in Iglau ums Leben kamen, ihre letzte Ruhe fanden - dies unter Anteil- und Teilnahme der heute in Iglau maßgebenden Vertreter der Stadt.
In diesem Zusammenhang besucht auch in den letzten Jahren jeweils eine Gruppe von Angehörigen und Freunden die „Budinka“ bei Dobrenz, den Ort des Massenmordes, um dort mit unseren Heimatpriestern zu beten und an einem kurz vorher von einem Freunde errichteten Birkenkreuz einen Kranz niederzulegen. Es erfüllte immer wieder mit Bitterkeit, wenn man erfuhr, dass noch in der Nacht darauf Kreuz und Kranz „entsorgt“ in einem nahegelegenen Gewässer gefunden wurden. Der tschechische Bauer Polreich aus Dobrenz, der vermutlich am Massaker indirekt beteiligt war, und der erst kürzlich verstarb, stellte sich als Tatverdächtiger heraus.
Angehörige der in der „Budinka“ ermordeten Väter ließen in der für Dobrenz zuständigen Kirche zu Seelenz eine Erinnerungstafel anbringen. Trotz des Widerstandes des dortigen Ortsbürgermeisters setzte der damalige Priester diese Anbringung durch und weihte am Allerseelentage 2000 unter Anwesenheit der Angehörigen und einer Reisegruppe von Landsleuten diese Tafel mit folgender Inschrift in deutsch und tschechisch ein:
„Zur Erinnerung an unsere Väter, die in den Maitagen 1945 bei Dobrenz ihren Tod fanden.“
Diese Formulierung wurde bewusst gewählt, um damit die Fragestellung nach den Zusammenhängen herauszufordern. Bisher blieben die Tafeln unbeschädigt, trotz vieler skeptischer Stimmen. Kein Urteil eines ordentlichen Gerichtes über jene, die „dort ihren Tod fanden“ wurde je gesprochen oder jemals bekannt. Hass- und Rachegelüste waren die Triebfedern jener, die diese grauenvolle Tat ausübten und damit schuldig wurden.
Nicht Vergeltungsdenken veranlasste zu dieser Dokumentation nach so langer Zeit, sondern allein die Notwendigkeit der Opfer zu gedenken und ihren Angehörigen die gebotene Anteilnahme widerfahren zu lassen.
Es darf zu aller Zeit nicht geschwiegen werden, wenn Unschuldige ihr Leben verloren haben, ganz gleich wann, wo und unter welchen Vorzeichen und Umständen.
Die Aufnahme eines Staates in die europäische Völkerfamilie, worum sich auch die gegenwärtige Tschechische Republik bemüht, wird nach meinem Rechtsverständnis unbegreiflich, wenn in ihm immer noch „Dekrete“, d.h. Gesetze, Rechtsgültigkeit besitzen, die auch Massenmörder, wie sie hier namentlich genannt werden können, vor Bestrafung schützen.
Fritz Hawelka (von 1981 – 1993 Bundesvorsitzender der Gemeinschaft Iglauer Sprachinsel e.V. und von 1993 bis 1998 Schriftleiter des Mährischen Grenzboten.)

Dokumentation des Massenmordes am 19. Mai 1945 in Deutsch Schützendorf und Dobrenz in der Iglauer Sprachinsel

Deutsch Schützendorf und Dobrenz, heute tschechisch Dobronin, weil beide Dörfer der nördlichen Iglauer Sprachinsel inzwischen zu einem Ort vereinigt, wurden in den Maitagen 1945 zum Schauplatz des Leidens und eines grausamen Massenmordes an 15 deutschen Männern aus den umliegenden Dörfern. Für alle Zeiten ist dieses Verbrechen mit dem Namen des Hauptschuldigen und Veranlassers dieses an zynischer Grausamkeit kaum fassbaren Geschehens verbunden: Robert Kautzinger (K)
K war in der Inwaldschen Glasfabrik von Deutsch Schützendorf Glasschleifer. Nebenbei betätigte er sich als Schlagzeugspieler bei der dortigen Musikkapelle Pokorny, einer überwiegend aus Deutschen bestehenden Blasmusikgruppe, die bei vielen Veranstaltungen im Umland ihrer Qualität wegen, Ansehen genoss.
K, geboren in Wien, spielte gelegentlich den Kapellen-Kasper mit komischen Einlagen auf seinem Instrumentarium. Durch seine Späßchen war er ein nicht ungern gesehener Gast bei Einladungen in den Bauernhöfen, wenn es galt die Musikanten zu verköstigen.
Bekannt war allerdings auch seine kommunistisch orientierte politische Einstellung, wie sie sich bei der sozialkritisch rauen Umgebung der Glasarbeiter als nicht ungewöhnlich zeigte. Wie Nachfragen zu seiner Person, geb. am 27. 08. 1901, ergaben, zählte er in der Protektoratszeit der 40er Jahre auch zu einer aus wenigen Personen bestehenden Widerstandsgruppe von sog. Partisanen, deren Existenz der Polizei bekannt wurde, was dazu führte, dass es zu Festnahmen mit Inhaftierung einiger ihrer Mitglieder, darunter auch K kam. Auffällig erscheint in diesem Zusammenhang, dass K bereits nach einem Monat Gefängnis i. J. 1940 vorzeitig entlassen wurde, obwohl die weiteren Inhaftierten erst Anfang Mai 1945 freikamen.
Ab dem 8. Mai 1945, dem Einmarsch der Sowjettruppen auch in das Gebiet der Iglauer Sprachinsel, entwickelte sich K zum selbsternannten Oberhaupt der „vaterländischen Partisanen- und Revolutions-Garden“. So wurde er für Dobronin und Umgebung zum Herrn über Leben und Tod seiner deutschen Mit-Landsleute. Nach Beobachtungen und Berichten von Zeitgenossen erschien er einige Tage vor der Öffentlichkeit hoch zu Ross mit Reitpeitsche und Ledermantel bekleidet. Von seiner Reitpeitsche machte er bei Begegnungen mit Deutschen kräftig Gebrauch.
Vor Beutezügen mit seiner Horde in Nachbardörfern scheute er ebenfalls nicht zurück (siehe neue Ortschronik von Schlappenz, Seite 202/203).
Für das allgemein bezeichnete KZ, offiziell „Behelfs-Internierungslager“ in Deutsch Schützendorf, welches sofort in der Totenkammer im Feuerwehrgerätehaus und im nebenan liegenden Wiegehaus der Gemeindewaage eingerichtet wurde, wirkte er als Kommandant und betätigte sich nachweislich dort als einer der brutalsten Schläger. Er bestimmte allein, was dort zu geschehen hat. Die noch im Ort amtierenden tschechischen 2 Gendarmen, hatten wohl auf das ganze Geschehen dieser Tage keinen Einfluss. Jedenfalls wurde darüber nichts Näheres bekannt. Die Verhaftungen und den Abtransport in das Behelfsgefängnis nach Deutsch Schützendorf führte K mit seinen Helfern unter Misshandlungen persönlich durch.
Folgende Personen wurden nach ihrer Festnahme durch Robert Kautzinger sen., seine Söhne und andere Mittäter Anfang Mai 1945 und ihren Abtransport in das Feuerwehr-Gerätehaus mit Totenkammer, auch als „Behelfs-Internierungs-Lager Deutsch-Schützendorf“ bezeichnet, gebracht, wo sie nachweislich gequält und schrecklich misshandelt wurden, so dass Angehörige, die ihnen Essen und Kleidung brachten, sie kaum wiedererkannten. Immer wieder fiel der Name Kautzinger. Alle diese sind seither vermisst:
Altrichter Matthias, Bauer (Hausname Lotscher), Bergersdorf Nr. 28
Reznik Johann, Bauer (Hsn. Richter), Bergersdorf Nr. 6
Polzer Josef, Schmiedemeister, Bergersdorf Nr. 20
Kreisl Wenzel, Gastwirt, Bergersdorf Nr. 18
Hondl Wenzel, Bauer (Ortsvorsteher), Bergersdorf Nr. 23
Hondl Franz, Bauer (Hsn. Sindulkaschuster), Bergersdorf Nr. 37
Brosch Josef, Wagnermeister (Hsn. Wonger), Bosowitz Nr. 30
Czepl Franz, Bauer (Hsn. Joksch), Dobrenz Nr. 5
Schimek Johann, Polizist, Dobrenz (Ziegelei)
Michelfeit Josef, Bauer, Seelenz Nr. 22
Röhrich Josef, Bauer, Seelenz Nr. 52
Niebler Franz, Bauer (b. Wirt), Deutsch-Neuhof Nr. 4
Beer Anton, Oberlehrer/Schulleiter, Deutsch-Neuhof, Schule
Neubauer Alois, Bauer, Deutsch-Schützendorf
Rippl Franz, Häusler, Schrittenz Nr. 50
Suchy Johann, Häusler (Hsn. Schoffer), Schrittenz Nr. 13
Hondl Josef, Bauer (Hsn. Fitzka), Schlappenz Nr. 45
Lt. Aussage von H.L. (Dobrenz) wurde der Bergersdorfer Gastwirt Kreisl Wenzel, weil er sich seiner Festnahme widersetzte, gleich erschlagen und am nahegelegenen Bahndamm von seinen Mördern eingescharrt.
Die beiden Vettern Hondl aus Bergersdorf wurden nach ihrer Festnahme nach Deutsch-Schützendorf gebracht, dort derart misshandelt, dass sie nicht mehr gehfähig waren und auf einem Karren, angeblich in einer Schweinekiste eingesperrt, in das Bezirksgefängnis nach Polna transportiert (lt. Aussage der damals 19-jährigen, heute 75 Jahre alten Frau Marie Heckmann, Oberndorf 9, in 92339 Beilngries.) Sie sind lt. Stadtchronik von Polna vom 17. 05. 1945 auf Seite 433 durch Selbstmord oder Mord gestorben und in einem Massengrab mit weiteren 15, dort ermordeten unbekannten deutschen Soldaten, in einer Ecke der Friedhofskirche zu St.Barbara begraben. Angehörige haben an dieser Stelle am 24. Sept. 2001 ein errichtetes Kreuz ohne Inschrift, nur mit der Jahreszahl 1945 versehen, weihen lassen. Auch Bauer Hondl Josef aus Schlappenz soll in diesem Massengrab in Polna liegen.
Folgende freiwillige Aussage machte am Sonntag, dem 27. März 1999 Fr. C., 82 Jahre alt, kurz nach dem Tode ihres Mannes. Sie vertraute unserem Berichterstatter, von dem sie wusste, dass er diesem Massenmord nachforschte, Gewissensbisse hätten sie zu dieser Aussage veranlasst:
Während einer Tanzunterhaltung am Sonnabend, dem 19. Mai 1945 im ehemaligen Gasthaus POLZER (Gastwirt zu dieser Zeit schon Kautzinger Robert Senior), haben erst alle Teilnehmer des späteren Mordes an Deutschen reichlich gesoffen. Mit dem Eintritt der Finsternis wurde auf Befehl von K. (der allein als Schützendorfer bestimmte, wer ermordet werden sollte) die Gefangenen zur Mordstelle gebracht. Die Opfer sollen in der ehemaligen Totenkammer in der Nähe der Gemeindewaage festgehalten worden sein, wo sie Tag und Nacht bewacht wurden und von hier zum Mordplatz getrieben wurden. Bauer Polreich aus Dobrenz brachte einige Auswärtige mit seinem Auto auf Befehl von Kautzinger gleich zur „Budinka“. Mit Alkohol gestärkt, mit Gewehren, Pistolen und MP, aber auch mit Spaten, Schaufeln und Hacken ausgerüstet, trieben sie die Opfer zur Mordstelle. Hier mussten sich die Opfer unter Schlägen erst ihr Grab selber schaufeln (da es die Mörder sehr eilig hatten, war das Grab sehr flach, etwa 80 cm tief). Alle Opfer wurden brutal ermordet, angeblich wortwörtlich mit Spaten, Schaufeln und Hacken. Davon zeugten am Sonntagmorgen noch einige Körperteile, die sie in der Finsternis nicht gefunden hatten. Das frische Grab wurde nachts in Eile nur mit Gras und einigen Rasenstücken zugedeckt.
Folgende Aussage machte am Sonntagmorgen nach dem Mord der direkte Teilnehmer, Jiri Dejnožka (D), bei Fam. C. in der Mühle:
D hatte abgelehnt mitzumorden und wollte davonlaufen. Die Mörder drohten ihm mit Erschießen. D überbrachte dem Müller den Befehl Kautzingers, an die Mordstelle zu gehen und alles, was er findet, zu begraben. Herr und Frau C. gingen hin und fanden dort viele große Blutflecken, Stücke von menschlichen Körpern, sogar einen ganzen Arm. D als Augenzeuge war zwar ein sehr harter Mann, aber das war auch für ihn zuviel. Er wurde sehr krank und starb 2 Jahre später.
Die Mörder feierten nachher total besoffen im Gasthaus Polzer bis in die späte Nacht und brüsteten sich noch mit ihrer Missetat.
Die hier dargestellte „Tanzunterhaltung“ am Samstag den 19. Mai 1945 mit ihren Folgen war, wie wir erfuhren, eine große Siegesfeier mit allgemeiner Besäufnis. Robert Kautzinger zog gegen Mitternacht mit seinen betrunkenen Kumpanen zum Feuerwehrhaus und ließ die späteren Opfer herausholen.
Man trieb sie hinter dem Bahndamm aufwärts auf dem Weg in eine Wiesenmulde oberhalb des Waldrandes, etwa 500 m vom Ortsrand entfernt, unmittelbar am Feldwege von Dobrenz nach Deutsch-Neuhof (Novy Dvur), wo sie ermordet wurden. Beobachtungen, dass in dieser Nacht Schüsse fielen oder Schreie zu hören waren, sind nicht bekannt. Die Wiesenmulde liegt auch zu weit entfernt und durch den Wald so geschützt, dass Schreie aus dieser Entfernung kaum hörbar gewesen wären.
Auf Grund der vorliegenden Aussage der Frau C. gibt es keine andere plausible Erklärung für den Tod dieser Männer, als dass sie mit Hacken, Spaten und Schaufeln erschlagen und teilweise zerhackt wurden. Wie der größte Teil der Leichen eingescharrt wurde, ist nicht bekannt. Bekannt sind allerdings zwei oder drei Grabstellen auf dem Wege zur Mordstelle, wo jene Opfer, z. B. angeblich Bauer Röhrich, erschlagen und eingescharrt wurden, weil sie nicht mehr weiterkonnten. Bei einem Besuch von Angehörigern im Sommer 2000 waren noch Hügel, von Brennnesseln überwuchert, unter Steinen zu erkennen. Außerdem wurde uns berichtet, dass von Spaziergängern 3 Tage später an der Mordstelle ein abgetrennter Menschenarm gefunden wurde.
Etwa 1980 hat ein Arbeiter, namens Slama, bei Meliorationsarbeiten mit seinem Gerät an dieser Stelle Menschenknochen und Schädel ausgegraben. Er musste seine Arbeit sofort unterbrechen und etwa 10 m davon entfernt weiterarbeiten. Noch heute gibt es Landarbeiterinnen, die in der Genossenschaft arbeiten und die Lage des Massengrabes kennen, weil die Wiesenoberfläche eine hellere Farbe aufweist. Angeblich ist sie noch immer gut zu lokalisieren.
Im Volksmund der beiden Dörfer (heute nur Dobronin) wurde diese Stelle lange als Budinka genannt, woraus hervorgeht, dass dieser Massenmord weiteren Kreisen bekannt wurde: Ein Glasarbeiter namens Budin, ein großer und als brutal bekannter Mensch, brüstete sich bei einer später stattgefundenen Veranstaltung völlig betrunken in der Gastwirtschaft, er hätte bei dem Massenmord einem ganz Großen dieser Deutschen mit einem Spaten den Schädel zerteilt. Wie viele dieser Opfer in der „Budinka“ an diesem 19. Mai ermordet wurden, konnte bisher nicht endgültig festgestellt werden, da keine genauen Angaben vorliegen, ob von den 15 Genannten und seither Verschwundenen nicht bereits einige an anderer Stelle ihren gewaltsamen Tod gefunden hatten.

Wer waren die Täter?

Wir zitieren zunächst unseren Ermittler vor Ort:
„Immer neue Tatsachen und Namen kommen im Zusammenhang des Falles „B“ (Budinka) zum Vorschein. Es gibt hier noch Leute von denen man noch allerhand verschiedene Informationen erfahren kann. Leider sind sie sehr vorsichtig, besonders im Bezug konkrete Namen zu sagen. Es gibt hier aber noch lebende direkte Teilnehmer dieses Massakers, Labuta Josef in Dobrenz und die Brüder Kautzinger Robert und Rudolf in Iglau. Letztere sind Söhne von Kautzinger Robert sen., einem der Hauptmörder, welcher 1974 in Nova Ves bei Gablonz verstorben ist.“
„In der Zeit vom 14. 01. 1994 – 27. 03. 1994 ist es mir gelungen, wichtige Informationen von 7 Leuten (sechs Männer und eine Frau im Alter von 68 – 82 Jahren) zu bekommen. Bei dem Vergleichen dieser Informationen waren sich viele sehr ähnlich (was Menschen, Zeit und Orte anbelangt). Auf Grund dieser Tatsachen kann man mit Gewissheit sagen, dass sie wahr sind. Bis auf kleine Unterschiede auf Grund des Alters der Befragten, stimmen die Aussagen. Das Gedächtnis mancher ist nicht mehr ganz in Ordnung; die fast 49 Jahre spielen schon ihre Rolle.“
Zur Person des Hauptübeltäters Robert Kautzinger sen. wurde uns bekannt:
Er war Glasmacher im Werk Deutsch Schützendorf, später Gastwirt am früheren Gasthaus Polzer. Er ließ sich noch im Mai von seiner Frau scheiden und lebte gleich anschließend mit einer deutschen Frau Bernard aus Dobrenz zusammen. Mit ihr betrieb er die Gastwirtschaft und die Betriebskantine des Glaswerks. Etwa 1955 übersiedelte er nach Nova Ves (Neudorf an der Neiße) Nr. 255 in ein ehemals deutsches Haus. Dies geschah angeblich fluchtartig, wohl um seine Identität zu verschleiern. Dort starb er 1974. Er galt in Dobrenz als unbeliebtes, brutales Individuum.
Über ihn liegt uns die Ablichtung eines Archiv-Originals des „Verbandes der Kämpfer gegen den Faschismus“ vom 05. 04. 1959 über seine Mitgliedsanmeldung vor, mit dem Antrag auf Zusatzrente, bei diesem Verband, dazu auch die Übersetzung.
Die wichtigsten Mithelfer des Kautzinger sen. waren seine beiden damals 17 und 18 Jahre alten Söhne Robert und Rudolf, die heute noch in Iglau leben. Sie waren in den Folgejahren dort Angehörige der Polizei und Mitarbeiter der St. B. (tsch. Stasi). Nach unseren Informationen arbeiten sie auch heute noch mit Leuten der BIS (Bezpecnostni informacni služba), dem heutigen Sicherheitsdienst zusammen. Uns wurde empfohlen, bei weiteren Recherchen über sie besonders vorsichtig zu sein. Bekannt ist uns, dass sie als leidenschaftliche Musikanten bei Iglauer Musikkapellen mitspielen.
Als weitere Mittäter wurden uns namhaft gemacht:
Dejnožka Jiri, Glasschleifer
Er war am Massaker in der „Budinka“ beteiligt, wollte aber angeblich nicht mitmachen und wurde lt. seiner Aussage von Kautzinger unter Androhung seiner Erschießung zum Mitmachen gezwungen. Er war auch der Beauftragte, der am nächsten Morgen nach der Bluttat die Müllerfamilie zu veranlassen hatte, die Mordstelle „aufzuräumen“.
Rezac, von Beruf Schlosser. Später arbeitete er in der LPG Dobrenz.
Seine Spezialität war es angeblich, die inhaftierten Männer im Bauernhof „Merunka“ zu prügeln (wahrscheinlich auch die in der „Totenkammer“, die später ermordet wurden). Seine Frau war Deutsche und lebte in Schützendorf. Er selbst ist am Friedhof in Schützendorf begraben. Auch er, ein sehr brutaler Mensch unter den ehemaligen Mitarbeitern, in der LPG sehr unbeliebt.
Fiala Josef, Hüttenmeister in der Glashütte.
Er ritt angeblich, wie auch Kautzinger sen., in den Maitagen auf einem Pferd in Ledermantel mit schwarzer Reithose, gestiefelt und ausgerüstet mit deutschen Pistolen. Noch heute sagen die alten Leute hier: “Die zwei sahen aus wie von der Gestapo.“
Ab 1954 war er auf dem Bezirkskomite der KSC in Iglau beschäftigt. Auch er war Mitarbeiter der St.B. In der Glashütte galt er als besonders brutal und sehr unbeliebt. Er lebt nicht mehr.
Bobek Stefan, eine ganz interessante Person.
Niemand hat ihn hier gekannt. Er kam nach Schützendorf in einer Fliegeruniform, hat sich als Partisan ausgegeben und machte sofort mit. Er heiratete sogar hier (die Tochter des Glasschleifers Meloun). Angeblich hat sich später herausgestellt, dass es nicht sein richtiger Name war. Er war Slowake. Hier haben ihn richtige Partisanen entdeckt.
Offensichtlich ist er mit seinem Schwager Meloun Luboš, der auch in der „Budinka“ dabei war, geflüchtet. Er soll angeblich in der USA leben. Meloun lebt in Schweden.
Barták, Gendameriewachtmeister aus Schützendorf.
Angeblich war er auch in der „Budinka“ dabei. Von ihm weiß man aber nichts. Niemand konnte Auskunft geben, wohin er verschwunden ist. Er war bei der Verhaftung des Johann Schimek anwesend.
Labuta Rudolf, Glasschleifer aus Dobrenz.
Angeblich auch Mittäter. Er war z. Zt. des Berichtes schwer krank und lebte in Dobrenz.
Polreich, Bauer aus Dobrenz.
Er war derjenige, der damals auf Befehl von Kautzinger die „Auswärtigen“ mit seinem Auto in die „Budinka“ brachte. Obwohl er Bauer war, meldete er sich 1945 sofort in die KSC.
Bei einem Abtransport von Deutschen schlug er auf dem Bahnhof in Dobrenz den ehemaligen deutschen Bürgermeister Altrichter. Er starb im Jahre 2000 und stellte sich als derjenige heraus, der die Kreuze und Kränze, die von Angehörigen nach Fronleichnam in der „Budinka“ niedergelegt wurden, kurz darauf wegräumte.
Sowohl er als auch sein Vater waren in Dobrenz sehr unbeliebt. Die Knechte lebten bei ihnen immer sehr schlecht.
Dvorak Vaclav,
war vermutlich auch ein Mittäter, konnte aber mit Sicherheit nicht bestätigt werden.
Budin, ein Knecht, angeblich aus Bergersdorf.
Von ihm wurde berichtet, dass er einer der Hauptmörder gewesen wäre. Er war ein großer, starker Mann und prahlte sich betrunken mit seiner Mordtat.
Man sprach auch davon, dass zwei russische Soldaten an dem Mord beteiligt gewesen wären. Es erscheint unwahrscheinlich. Möglich war zu dieser Zeit aber alles.
PS.: Alle noch dort Lebenden, die über einen längeren Zeitraum sich bemühten, Licht in dieses abscheuliche Verbrechen zu bringen um uns zu informieren, baten uns, ihre Identität nicht preiszugeben. Wir erhielten Berichte von ihnen über telefonische Todesdrohungen. Sie fürchten noch immer existentielle Benachteiligungen für ihre Familienangehörigen. Wir wollen sie nicht gefährden und respektieren ihre sicherlich noch immer begründeten Sorgen.
Ausserdem:
Dem Autor liegen 3 Archivablichtungen vor, die lt. Amtlicher Anweisung in der Öffentlichkeit nicht Verbreitung finden dürfen. Darauf wurde ausdrücklich hingewiesen.
1) Deutsches Gefängnis Prag: Inhaftierung Robert Kautzinger, Straftatbestand: Hochverrat. Einlieferungsdatum 29. 01. 1940 / Entlassung 24. 02. 1940
2) Verband der antifaschistischen Widerstandskämpfer, Antrag des Robert Kautzinger um Aufnahme in den Verband, verbunden mit einem Antrag auf Zusatzrente vom 05. 04. 1959, (Vorder- und Rückseite), Übersetzung dazu.
3) Ablichtung einer Antwort des tschechoslowakischen Roten Kreuzes vom 01. 06. 1948 auf die Anfrage der Ehefrau des ihres in Deutsch-Schützendorf vermissten Ehemannes und Polizeibeamten Johann Schimek.

Recherchiert und zusammengestellt durch: Fritz Hawelka, Iglauer Weg 5, D-37247 Großalmerode, Telefon 05604/1619, Fax: 05604/7044

Angaben zu Ort und Lage der Dörfer Dobrenz und Deutsch Schützendorf siehe www.iglauer-sprachinsel.de

Zurück