Iglauer Tanz- und Musikbrauchtum: Unser Hatscho

Den Hatscho“ gibt es ja eigentlich nicht. Dieser Name ist bezeichnend für das ganze Tanzbrauchtum der Iglauer Sprachinsel. So frei wie die Fiedeln aufspielten, gestaltete sich jeder neue Tanz nach dem grundlegenden Ablaufmuster je nach Laune und Einfallsreichtum des Vortänzers. Erst zuletzt wurden feste Abläufe ausgesucht, um den Hatscho in Tanzgruppen weitergeben und vorführen zu können. Der ursprüngliche Tanzgebrauch funktioniert ähnlich wie der „Auftanz“, die Polonaise, bei der auch ein Vortänzerpaar führt und alle anderen die einzelnen Figuren nachtanzen. So entstanden mehrere Vorführ- und Melodievarianten des Hatscho, die aber alle den grundlegenden Ablauf gemeinsam haben: Beginnend mit dem getragenen „Bäurischen“ im langsamen, schwingenden Dreiertakt steigert sich der Tanz allmählich bis zum wirbelnden Drehen der Paare im hupperischen Polkaschritt und dem Abgang im wilden Galopp, der durch den „Hatscho“-Ruf des Vortänzers angekündigt wird. Durch diesen freien Tanzgebrauch sind in der Iglauer Sprachinsel nur wenige Tanzkleinformen mit festgelegtem Figurenablauf zu finden.

Tanzbeschreibungen und Noten aus der Iglauer Tanzmappe: 

Hatscho (Vorführform des Iglauer Singkreises und weiterer Iglauer Tanzgruppen), Kleiner Hatscho (Tanzform der Iglauer Jugend München), Alter Hatscho (Leyerstückl, Wilenz 1819)

Ebenso seltenes, uraltes Volksgut stellen die Iglauer Bauernfiedeln dar, die traditionsgemäß zum Hatscho aufspielen. Die "Fidel" war im Mittelalter das gängige Streichinstrument. In der höfischen Musik wurden sie im 15. Jahrhundert durch Gamben und Violen abgelöst. In der Iglauer Sprachinsel hat sich die Fiedel als Volksinstrument in urtümlicher Weise erhalten. Fiedeln werden in "Einbaum-Bauweise" gebaut: Korpus, Zarge, Hals und Kopf sind aus einem Stück Ahornholz herausgearbeitet. Die Decke ist aus Fichtenholz, Griffbrett und Saitenhalter aus Weichsel. Die Wirbel sind von unten durch den Kopf gesteckt. Die rosshaarbespannten Bögen weisen eine "Zahnstangen-Spannvorrichtung" auf. Die Abstammung von den alten Borduninstrumenten zeigt am deutlichsten die klobige Bassgeige, genannt "Ploschperment". Der Bassist hat das Instrument im Sitzen auf dem Schoß liegen und "sägt" mit dem kurzen Bogen über die Saiten, die durch Festhalten zwischen Daumen und Zeigefinger abgeklemmt werden. Durch den Saitenhalter ist eine Metallschraube gedreht, die auf der Decke eine Metallscheibe trifft, die sog. "Schöbrölln". Dadurch schnarrt und rollt der Basston zusätzlich. Ebenso der Lautverstärkung dient bei den Fiedeln der kammförmige Steg, der für den typischen, etwas kreischenden Ton verantwortlich ist. Die traditionelle Besetzung des Iglauer Fiedelquartetts ist: Zwei viersaitige "Klarfiedeln", eine dreisaitige "Grobfiedel", die Begleitfiguren spielt, und das Ploschperment.

Lm. Herbert Kremser, von 1956 – 1970 aktives Mitglied im Iglauer Singkreis, hielt im Jahre 1999 auf einer Volkstanzfachtagung in Leonberg ein kompetentes Referat über den Hatscho:

Bei den Bauernhochzeiten war der Höhepunkt des Tanzes der bodenständige Volkstanz, der „Hatscho". Sein Name kommt von dem Rufen der Tanzenden beim letzten Teil des Tanzes her. Was bedeutet dieses Wort?
Man kann es deuten: hatsch-o, hatsch-ab, fahr-ab oder schnell auf und davon. Es ist eine Aufforderung, die Tanzfläche frei zu machen. Eigentlich ist der Hatscho kein Tanz im Sinne unserer Volkstänze. Er besteht aus einer Aneinanderreihung aller Tänze, die in den Dörfern üblich waren. Das Tempo steigert sich von Stufe zu Stufe gleich von Tanz zu Tanz. Den Tänzern voraus tanzt der Vortänzer bei den Hochzeiten, der „Druschmo" (Hochzeitslader), der den Wechsel der Figuren durch Aufstampfen ankündigt. Der Vortänzer wurde von den Bauern auch „Aufhauer" oder „Voraus" genannt. Die Figuren und die Musikstücke waren keineswegs in allen Dörfern einheitlich. Die Melodienfolge wurde von jeder Musikkapelle verschieden zusammengestellt. So gab es für die „Alten" und für die „Jungen" verschiedene Melodienfolgen. Der ganze Tanz bestand aus mehreren Teilen, die aber keineswegs in einer starren Ordnung aufeinander folgen mussten. Das Gesetz des Handelns wurde vom Vortänzer bestimmt. Wollte er zu einer anderen Bewegung (Figur) oder zu einem Wechsel des Rhythmus überleiten, so stampfte er mit dem Fuß kräftig auf den Boden und gab damit den Musikanten das Zeichen zum Umsteigen zur nächsten Melodie. Oft wurde der Tanzablauf durch „Tuschen" oder das „Rädl" unterbrochen oder beendet. Nach Erzählungen meines Vaters konnte der Hatscho bis zu 3 Stunden dauern, bis er beendet wurde. Die Einleitung des Hatscho bildete immer der „Bäuerische", ein Tanz im Dreivierteltakt, der mit seinem langsamen Rhythmus und seinen Wiege- und Drehschritten so recht dem behäbigen, bedächtigen Wesen der Bewohner entsprach. Dabei wurden verschiedene Lieder der Iglauer Sprachinsel gesungen, wie „Der Bauernstand“, „Es ist nur eine, die mir gefallen" und andere. Dieser Teil des Tanzes galt als der vornehmste. Der Vortänzer begann mit einer Figur, die er durch Stampfen ankündigte. Diese Figur wurde nach und nach von allen nachfolgenden Paaren übernommen.
Den zweiten Teil bildete gewöhnlich der „Deutsche", ein Ländler, auf den Ländlerfiguren getanzt wurden, die wieder vom Vortänzer angekündigt wurden. Das Tempo im dritten Teil des Tanzes steigerte sich zum „Hupperischen", einer Polka mit Durchdrehen bei zweihändiger Fassung. Dieses Durchdrehen wird nicht dauernd getanzt. Es wird 2 bis 3mal durchgedreht, dann wird wieder geradeaus weitergetanzt. Passende Lieder wurden zu allen Teilen des Tanzes von den Tanzenden mitgesungen. Diese Lieder waren von Dorf zu Dorf unterschiedlich. Dieser Teil des Tanzes ist der schönste für die Zuschauer, wenn die Röcke und die bunten Kopftücher fliegen. Plötzlich ruft der Vortänzer „Hatscho" und alle tanzen nun mit raschen Galoppschritten unter Juchazern und „Hatscho"-Rufen durch den Raum. Nicht selten geht es nun durch alle Räume, hinaus ins Freie oder durch den Stall. Der Spieler der Bassgeige „Ploschperment" streicht seine Saiten nicht mehr, er schlägt auf diese. Haben sich die Tänzer genug ausgetobt, wird der Tanz mit dem „Rädl" beendet. Beim „Rädl" singen abwechselnd die Burschen und die Mädchen Gstanzel und necken sich dabei. So wurde der Hatscho in den Dörfern der Iglauer Sprachinsel getanzt.
Nach und nach wurde der Hatscho auch bei den Städtern in Iglau getanzt, bei den verschiedensten Anlässen wie Turnerball, Bauernball, usw. Nun musste der Tanz natürlich bühnengerecht zusammengestellt werden. Nach den Aussagen meines Vaters gab es die verschiedensten Ansichten – den Tanz auf die Bühne zu bringen – oder nicht. Melodienteile wurden zusammengestellt, um dem Tanz einen festen Ablauf zu geben. Es kam ein Tanz heraus, der im ungefähren Ablauf dem entspricht, den der Iglauer Singkreis Süd tanzt. Nach der Vertreibung 1945 wurde der Hatscho von den Iglauer Singkreisen gepflegt und weiter entwickelt, fast zur perfekten Bühnendarstellung. In vier Iglauer Kreisen wird der Tanz heute noch getanzt und gepflegt: Iglauer Singkreis Nord und Süd, Iglauer Trachtengruppe Groß-Umstadt, Iglauer Trachtengruppe Kaufbeuren/Marktoberdorf. (Ebern?, Anm. d. Red.) Der Hatscho wird inzwischen auch in anderen Volkstanzgruppen gelehrt, meist in der Form des Iglauer Singkreises. Dort bei den Gruppen ist der Hatscho dann wohl einer von vielen anderen Volkstänzen. Man wird vielleicht nicht sehr viel davon spüren, was dieser Tanz ursprünglich für die Iglauer beinhaltete und was er für eine Bedeutung für sie hatte. Bei den Vorführungen der Iglauer Gruppen ist die farbenfrohe Iglauer Tracht unabdingbar. Ohne die Iglauer Tracht ist der Hatscho nur ein Abklatsch. Meiner Meinung nach sollte der Tanz von den Gruppen in dieser Form weiter gepflegt werden. (Herbert Kremser)





Beim Hatscho fliegen die Röcke: Die Iglauer Trachtengruppe Kaufbeuren / Marktoberdorf in Aktion