Iglau - Stannern
Erschießungen von Frauen im Mai - Juni 1945
Berichterin: Else Köchel. Bericht vom 30. 6. 1950
Am 20. Mai 1945, einem Sonntag, mußten wir binnen 2 Stunden unser Heim
verlassen und kamen in eine alte schmutzige Tuchfabrik in der Umgebung der
Stadt. Dort waren die hygienischen Zustände furchtbar: z.B. ein Strahl Wasser
unten im Hof für rund 1000 Menschen. 3 Klosetts auch im Parterre, dieselben in
einem unbeschreiblichen Zustand, die Stiegen in den 3 Stockwerken so eng, daß 2
Menschen nur knapp aneinander vorbei konnten.
Für die Küche mußte das Wasser von halbwüchsigen Burschen und älteren Männern
von weit her in Tonnen gezogen werden.
Unser Lager war auf dem ölgetränkten Boden und knapp nebeneinander in vier
Reihen. Jeden Tag um 6 Uhr und um 8 Uhr mußten wir zum Appell antreten. Beim
Erscheinen des Velitel mußten wir stehen, die Hände an der Seitennaht. Das
Essen bestand aus ¼ Liter Kaffee, ¼ Liter Suppe, und einer Schnitte Brot für
einen Tag.
Am 9. Juni 1945 hieß es: "Morgen müßt Ihr 30 km gehen, Ihr könnt nur
mitnehmen, was Ihr tragen könnt!" Gepäcksrevision, Untersuchung nach Geld
und Beschlagnahme des Mehrbetrages. Am 10. Juni 1945 gings los, bei sengender
Hitze auf sonniger Straße nach Stannern in ein anderes Lager. Da warf man weg,
was man konnte, sodaß man nichts mehr hatte. Da hieß es, die Österreicher
können heute schon nach Österreich. Zu diesem Zweck mußten wir nach Teltsch,
sahen auch schon die Türme von Teltsch, da hieß es wieder, es geht nicht, also
zurück nach Stannern 10 km. Dort kamen wir bei strömendem Regen an und fielen
vor Müdigkeit nieder, wo wir gerade standen. Man trieb uns mit der
siebenschwänzigen Peitsche und mit Schüssen an. Auf diesem 40-km-Marsch gab es
zwei kurze Pausen.
In Stannern hungerten wir, viele starben an Hungerruhr.
Das Lager lag auf einem Hügel, ringsherum Zaun, wir wurden bewacht, durften
nicht hinaus. Die Frauen aus dem Ort brachten manchmal etwas, Kaffee, Suppe und
Brot. Da alle furchtbaren Hunger hatten, besonders die Kinder, so warteten die
Mütter schon, wenn so eine Frau kam und da eines Tages auch so eine Frau kam,
schauten drei Frauen neben uns über den Zaun, ob sie schon da ist. Auf einmal
ein Schuß – zwei Frauen fielen tot um, eine verletzt; sie hatten nichts anderes
getan, als über den Zaun geguckt.
Dafür wurde der Posten gelobt und bekam eine Auszeichnung für den guten
Treffer.
Ich will von allem andern schweigen, was wir gelitten haben, aber dieses
Verbrechen muß doch veröffentlicht werden.
Leider weiß ich den Namen dieses humanen Herrn Velitel nicht. Von den Namen der
drei Frauen weiß ich nur einen, "Kerpes". Die anderen weiß ich nicht,
kann aber die geschilderte Begebenheit jederzeit beeiden.
Vielleicht findet sich noch jemand aus Iglau, der den Namen
von diesem sauberen Velitel und auch die Namen der übrigen Frauen kennt.
Aus: Dokumente zur Austreibung der Sudetendeutschen.
Überlebende kommen zu Wort.
Originalausgabe: Selbstverlag der Arbeitsgemeinschaft zur Wahrung
Sudetendeutscher Interessen, 1951
Einleitung und Bearbeitung von Dr. Wilhelm Turnwald