Die Iglauer Sprachinsel

 

Das Igelland auf der böhmisch-mährischen Höhe

 

Auf halbem Wege zwischen Brünn und Prag liegt die Stadt Iglau, tschechisch Jihlava, bis 1945 Mittelpunkt einer altbairischen Sprachinsel, die früher außer Iglau selbst 75 umliegende Ortschaften umfasste, in denen der Anteil deutschsprachiger Bevölkerung eine Mehrheit bildete oder zumindest bis zur Vertreibung stark genug war, um kulturelle Formen des Zusammenlebens aufzuweisen. Der südliche Teil des Sprachinselgebietes und die Stadt Iglau selbst gehören zu Mähren, der nördliche Teil zu Böhmen, zusammen ca. 400 km². Die Nord-Süd-Ausdehnung beträgt 43 km, Ost-West: 18 km.

Iglau hat in etwa dieselbe geographische Breite wie Graz, die geographische Länge wie Nürnberg, die Höhe ü. d. M. wie München; durch das Sprachinselgebiet zieht sich ungefähr in Nord-Süd-Richtung der Rücken der Böhmisch-Mährischen Höhe, nach Norden ansteigend. Der höchste Punkt ist der Spitzberg mit 752 m. Der Böhmisch-Mährische Höhenzug besteht vorwiegend aus Granit und Gneis. Nördlich von Iglau, vorbei am Schatzberg, verläuft die Europäische Hauptwasserscheide. Das Klima ist rau und bietet nur kurze Vegetationszeiten, die Böden sind karg, die Bewirtschaftung mühsam.

 

Ursprünge, Bevölkerung, Bedeutende historische Begebenheiten

 

Noch 1899 wurde in Iglau feierlich die 1100-Jahrfeier seit Gründung begangen, die der sagenhaften Überlieferung nach auf das Jahr 799 zurückgehen soll, als ein fränkischer Kaufmann in den Tonscherben eines in der Nähe des Igelflusses hausenden Töpfers Silber schimmern sah. Inzwischen ist sicher, dass zur Frankenzeit im Iglauer Gebiet noch kein systematischer Silberbergbau betrieben wurde. Bis zum Jahr 1000 waren Böhmens Randgebirge nur spärlich besiedelt. Reste einer slawischen Ansiedlung wurden in der Igelsenke gefunden. Erst gegen das 12. Jahrhundert setzte die Besiedlung der bewaldeten Höhen ein, von Landesherren und Klöstern angestoßen. Silberfunde im Iglauer Gebiet zogen zusätzlich Menschen an. Bäuerliche Siedler kamen hauptsächlich aus der südlichen bis mittleren Oberpfalz, Bergleute aus dem ostmitteldeutschen Sprachgebiet.

Die Pfarre Iglau gehörte bis 1233 dem Deutschen Ritterorden und wurde dann an das Prämonstratenserkloster Selau verkauft. Darin findet sich die Lesart „Giglaua“ für den Ort Iglau. In der späteren Iglauer Sprachinsel wurden vor allem Selau und das Geschlecht der Lichtenburger kolonisatorisch wirksam.

In der Stadt-Gründungsurkunde Iglaus aus dem Jahre 1249 verleihen König Wenzel von Böhmen und Markgraf Ottokar von Mähren den Iglauern das Stadtrecht und ihnen und allen Bergleuten Böhmens und Mährens das oberste Bergrecht. Iglau wird damit Oberhof in Bergsachen, zunächst unter der Wenzelskrone, bald auch in Schlesien und den sächsischen Ländern. Daran orientieren sich anschließend die Berggerichte in Schemnitz, von wo aus die Iglauer Rechtsgrundsätze weiter vermittelt werden bis Siebenbürgen, und schließlich auch bis Venedig und über die spanischen Habsburger auch bis nach Mexiko ausstrahlen.

Zu Anfang des 15. Jahrhunderts wurde diese Rechtssammlung durch Stadtschreiber Johannes von Gelnhausen, der vorher als Oberregistrator in der Kanzlei Kaiser Karls IV. in Prag tätig war, in Form eines prächtigen und wertvollen Codex („Codex Gelnhausen“) niedergeschrieben, der noch heute im Iglauer Stadtarchiv gehütet wird. Handel und Handwerk blühen, vor allem die Tuchmacherei, die Stadt ist stark befestigt. Iglau muss sich Raubritterüberfällen und Angriffen der Hussiten erwehren.

1436 finden in Iglau die Verhandlungen zur Beendigung der Hussitenkriege statt. Kaiser Sigmund beschwört den böhmischen und mährischen Ständen in den „Iglauer Kompaktaten“ feierlich die Friedensbedingungen.

 

Bürgerliche und bäuerliche Volkskultur

 

In der Insellage konnte sich viel Ursprüngliches und Eigenständiges erhalten. Typisch sind
Musik und Liedgut, Gebräuche und Gewohnheiten, Tracht und Gewand, Lebensführung und Volksüberlieferung. Besonders bei hohen Festlichkeiten wie z. B. einer bäurischen Hochzeit, vereinen sich überlieferte Bräuche und lebendige Volkskultur.

Die Art des Singen und Tanzens war ebenfalls typisch. Beliebt war das „Tuschen“, bei dem sich Umtrunk, Singen und einfache tänzerische Bewegung miteinander verbinden.

Zur Hochzeit und anderen festlichen Anlässen gehört auch unbedingt der „Hatscho“, das charakteristischste Element des Iglauer Tanzbrauchtums: Beginnend mit dem getragenen „Bäurischen“ im langsamen, schwingenden Dreiertakt steigert sich der Tanz allmählich bis zum wirbelnden Drehen der Paare im hupperischen Polkaschritt und dem Abgang im wilden Galopp, der durch den „Hatscho“-Ruf des Vortänzers angekündigt wird.

Ebenso seltenes, uraltes Volksgut stellen die Iglauer Bauernfiedeln dar, die traditionsgemäß zum Hatscho aufspielen. Die "Fidel" war im Mittelalter das gängige Streichinstrument. In der höfischen Musik wurden sie im 15. Jahrhundert durch Gamben und Violen abgelöst. In der Iglauer Sprachinsel hat sich die Fiedel als Volksinstrument in urtümlicher Weise erhalten.

Fiedeln werden in "Einbaum-Bauweise" selbst gebaut: Korpus,  Zarge, Hals und Kopf sind aus einem Stück Ahornholz herausgearbeitet. Die Decke ist aus Fichtenholz, Griffbrett und Saitenhalter aus Weichsel. Die Wirbel sind von unten durch den Kopf gesteckt. Die rosshaarbespannten Bögen weisen eine "Zahnstangen-Spannvorrichtung" auf. Die Abstammung von den alten Borduninstrumenten zeigt am deutlichsten die klobige Bassgeige, genannt "Ploschperment". Der Bassist hat das Instrument im Sitzen auf dem Schoß liegen und "sägt" mit dem kurzen Bogen über die Saiten, die durch Festhalten zwischen Daumen und Zeigefinger abgeklemmt werden. Die traditionelle Besetzung des Iglauer Fiedelquartetts ist: Zwei viersaitige "Klarfiedeln", eine dreisaitige "Grobfiedel", die Begleitfiguren spielt, und das Ploschperment.

Die Sprachinselmundart gliedert sich in drei Mundartgebiete (Wilfried Stolle, Vokalismus der Mundarten in der Iglauer Sprachinsel):  Das „Bäurische“, das am stärksten mittelbairische Anklänge angenommen hat, findet sich in der Südhälfte der Sprachinsel und einem Streifen nördlich von Iglau, das „Pachterische“ (nach den Grafen Pachta von Reihofen und Buckau, Landesherren im 17. Jhdt),  das den älteren Klang bewahrt hat und die nordbairischen Ursprünge deutlicher hören lässt, hört man im böhmischen Teil nördlich von Iglau, und das „Langendörferische“, das eine eigene Lautentwicklung zeigt und z. B. wie in Wischau den W-Anlaut durch die Nähe des Tschechischen in B umgeformt hat, im äußersten Nordzipfel der Sprachinsel. Der schöne Satz „Wir gehen heim“ heißt im Bäurischen „Mir genga haam“, im Pachterischen „Mir gejhn hoim“ und im Langendörferischen „Bia goin huim“!

 
Bedeutende Iglauer

 

Recht stolz sind die Iglauer, dass alle Sudetendeutschen die Schubertmesse als „ihre deutsche Messe“ singen,  denn die Texte, die Schubert vertont hat, stammen von Johann Philipp Neumann, geb. 1774 in Trebitsch bei Iglau, der außerdem ein bedeutender Physiker war.

Am berühmtesten sind die Vertreter der Musik. Johann Wenzel Stamitz („Steinmetz“), geb. 1717 in Deutschbrod, dem damaligen städtischen Mittelpunkt der nördlichen Sprachinsel, begründete als Dirigent und Komponist die Mannheimer Schule.

Gustav Mahler wurde 1860 in Kalischt in Böhmen, 60 km nördlich von Iglau, geboren. Noch vor seinem ersten Geburtstag zog die Familie nach Iglau, wo Gustav seine Kindheit und Jugend verlebte. Auch später, als berühmter Komponist und Dirigent, verbrachte er die Sommermonate in Iglau, um sich Inspiration zu holen.